Herbst an der Isel
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Das Jahr rundet sich.
Die Isel ist ruhig geworden. Nur die Zeichen ihrer sommerlichen Tätigkeit lassen ihre damalige überschäumende Kraft erahnen. Das Flussbett ist wieder über weite Strecken zugänglich und voller Spuren der vergangenen Zeit.
Die Morgennebel zwischen den Bergrücken des Isel- und Tauerntales zeigen es: der Herbst ist da und bringt Kühle in die Täler und Farbe in die Landschaft.
Die Schatten werden länger, die Nächte kalt; das Wasser der Gletscherbäche ist fast versiegt.
Ein Besuch des „Wasserschaupfades Umbalfälle“ gilt jetzt nicht der mächtigen Wasserfülle des Sommers, sondern macht nun bei Niederwasser die eindrucksvolle Bildhauerarbeit der Isel an den Felsstrukturen des Untergrundes besonders deutlich. Einen Millimeter tiefer gräbt sich die Isel jedes Jahr im Umbaltal ein.
Die Herbstsonne wärmt nur mehr einen Teil des kleinen Talbeckens von Ströden. Die Isel selbst liegt schon in tiefem Schatten - ein ganz anderes Bild als zu Zeit der steigenden Sonne im Frühjahr.
Das mit goldenen Lärchen geschmückte Maurertal erlaubt den Blick auf die Maurerkeesköpfe im Alpenhauptkamm.
Wieder grasen Schafe an der sanft gewordenen Isel. Im Frühjahr kosteten sie das erste Grün, nunmehr sammeln sie das letzte; dazwischen lag ein langer Almsommer auf den Hochweiden unter den Tauerngipfeln.
Geradezu lieblich durchmisst die junge Isel das Kulturland in der schmalen Talsohle zwischen Hinterbichl und Prägraten; der Neuschnee auf den Gipfeln erinnert an den kommenden Winter.
Der gletscherüberragte Talbereich von Prägraten mit seiner hellen Sonn- und dunkel bewaldeten Schattseite verengt sich unterhalb von Bobojach zu einem schmalen Schluchtbereich, den sich die Isel in jahrtausendelanger Arbeit gegraben hat.
Die Iselschlucht beginnt mit einer flach verlaufenden Strecke, aus dem Felsen herausgemeißelt. Jetzt im Herbst hat die Isel einen guten Teil der prägnanten Struktur ihres Gesteinsbettes freigegeben.
Bald aber strömt die Isel in enger Schlucht weit unterhalb des Weges, der auf ihrer rechten Seite immer wieder eindrucksvolle Blicke auf den ursprünglichen Wasserlauf in der Tiefe gestattet.
Entlang der Virger Feldflur strebt die nun wieder flache und herbstkarge Isel talauswärts. Von der Höhe des südgewandten Hanges grüßt der Ortskern von Virgen; darüber die Dreitausender des auslaufenden Kammes der Virger Nordkette mit Röte und Ochsenbug.
In einer großen Schlinge tritt die Isel in das Matreier Becken, das in der letzten Eiszeit durch den Zusammenfluss von Isel- und Tauerntalgletscher entstanden war. Ihr fließt in Matrei der etwa gleichstarke Tauernbach zu; nun wendet sie sich nach Südosten in ihr breites Haupttal, das schon im Schatten des späten Nachmittags liegt.
Hier, unterhalb von St. Nikolaus am Eingang ins Virgental, hat die Isel schon den Tauernbach aufgenommen und ihr Haupttal erreicht.
Von nun an läuft die Isel direkt auf das südgewandte Talbecken von Lienz unter den Lienzer Dolomiten zu - als einziger Gletscherfluss der Alpen, der noch ohne Stau und ohne Ausleitung frei von seinem Ursprung bis zur Mündung fließen darf.
Nun hat die Isel genügend Platz, um als vielerorts breiter Talfluss (wie hier unterhalb von Huben) ihre Dynamik zu entfalten und ihr Bett in weiten Grenzen zugestalten.
Ganz anders als im Sommer stellt sich nun - bis ins erste Frühjahr hinein - die Isel dar: Klares, spärliches Niederwasser ohne Trübung durch Gletscherschliff ; eine besonders gute Zeit für das Leben im Wasser.
Das herbstliche Bett zeigt dann auch, was die Isel im Sommer bewegt und verändert hat – wie mächtige, abgerundete Geschiebeblöcke, die nunmehr frei liegen und die sommerliche Kraft des Flusses ahnen lassen.
Drei Viertel ihrer gesamten jährlichen Wassermenge bringt die Isel in nur drei Sommermonaten. Die Spuren dieser umgestaltenden Sommerwucht zeigen sich nun allenthalben in ihrem Flussbett.
Hier trug das Sommerwasser der Isel einen ganzen Uferabschnitt einer Insel ab und schüttet dafür anderswo wieder frische Sand- und Schotterbänke auf: neue unentbehrliche Räume für die Lebensgemeinschaften verschiedener Pioniersiedler.
Das Sommerhochwasser hat eine junge Tamariske geknickt. Unbeirrt aber schlug sie von neuem aus; es wird statt eines Triebes dann eine ganze Reihe davon dastehen.
Nicht nur die Ufergehölze der Isel zeigen nun bunte Pracht, sondern auch die Tamarisken selbst färben ihre feinen graugrünen Blätter nach Gelbbraun um, bevor sie samt den zarten Seitentrieben abfallen.
Der Blick von oben zeigt die Vielgestaltigkeit des Iselbettes besonders deutlich: Im Bereich starker sommerlicher Strömung liegen grobe Geröll- und Schotterbänke mit lückigem Bewuchs an den höchsten Stellen, in länger ruhigeren Bereichen entstehen Uferreitgraswiesen mit aufkommendem Erlen- und Weidenbuschwerk.
Jetzt im Herbst, wo die Isel sich an vielen Stellen ihres Laufes in schmale Rinnen zurückgezogen hat, kaum zu glauben: dass auch die hoch gelegenen Stellen auf ihren Inseln gelegentlich vom Wasser erreicht werden. Dies verraten aber die dort liegen gebliebenen Holzstücke.
Das Uferreitgras besiedelt frische Schwemmböden und war früher überall an unseren Flüssen zu finden; die Einengung unserer Gewässer durch Verbauung ließ es selten werden. An der Isel gibt es noch schöne Bestände; besonders hübsch zeigt es sich im goldbraunen Herbstkleid.
Der Gemeingebrauch des Wassers ist im Wasserrechtsgesetz festgehalten. Alles, was sich mit Hand mitnehmen lässt, ist erlaubt: Wasser schöpfen, Steine sammeln oder Schwemmholz nutzen. Fleißige Hände waren hier schon am Werk und haben das Holz zur Mitnahme vorbereitet.
Die Weidenblätter sind noch grün; das Laub der Bereiften Brombeere auf den Uferschottern der Isel hat schon seine Herbsttracht angelegt.
Der wilde Hopfen rankt hoch in die Uferbäume. Nun leuchten auch seine Blätter nochmals auf, bevor sie sich braun zusammenrollen und abfallen.
Der herbstliche Blattfall stellt einen wichtigen Nähstoffschub für das Ökosystem eines Flusses dar. Sowohl am Auboden als auch im Wasser selbst erfolgt der Abbau je nach Temperatur noch im Herbst oder spätestens dann im Frühjahr.
Die nun ruhig und gleichmäßig fließende Isel bietet jetzt günstigere Lebensbedingungen als im Sommer. Auf Steinen wachsende Algen und der natürliche Nährstoffeintrag von außen bringen auch der Kleintierwelt im Wasser gutes Fortkommen.
Auch die Ufergehölze tragen reichlich Früchte, wie hier ein Spindelstrauch. Sobald die roten Hüllen aufplatzen und die orangegelben Samen freigeben, werden diese von Vögeln gefressen und verbreitet; ein besonderer Liebhaber ist das Rotkehlchen.
Schon lange hatte das Myzel des Holzpilzes den abgestorbenen Stamm einer Grauerle besiedelt und durchwachsen; nun ist eine ganze Schar an grauen Fruchtkörpern hervorgebrochen. Sie entlassen ihre Sporen, aus denen anderswo neue Pilzgeflechte entstehen können.
Pilze schließen Stoffkreisläufe und sind wichtige Wiederverwerter in der Natur.
Wo im Sommer das Rosmarinblättrige Weidenröschen seine aparten roten Blüten leuchten ließ, geben nun seine Samenkapseln die weißhaarigen Flugsamen frei, die dann ein stärkerer Herbstwind davonträgt zu neuen Keimplätzen.
Beim Gasthof „Bad Weiherburg“ in der Ainet nimmt die Isel mit ihren Armen und herbstbunten Auwaldstreifen einen guten Teil der nicht allzu breiten Talsohle ein.
Eine Raftfahrt auf der herbstlichen Isel erfordert Bootsführer mit genauem Wissen über Wasserstand und Verzweigungen des Flusses.
Eine Einmaligkeit im Alpenraum: Herbstliches Fliegenfischen inmitten einer Stadt, die an einem intakten Gletscherfluss liegt!
Wenn die Tage kurz werden, kann das Morgenrot besonders leuchtend sein – wie hier über der Isel in der Iselstadt Lienz.
Das Naturjuwel Isel ist eine alpenweite Einmaligkeit.