Wer den Mund zur Justiz aufmacht, sollte die Gewaltenteilung kennen
„Der Angriff auf das Bundesverwaltungsgericht entlarvt die Verlogenheit, den Hang zur Willkür und das seltsame Demokratieverständnis der Landeshauptleute und anderer Politiker“
... so Anneliese Rohrer (Die Presse) am 22.4. 2017
.
Wie ist es zu erklären, dass LH Platter einen Brief nach Brüssel schreibt mit dem dringlichen Ersuchen, für Tirol geltende Verpflichtungen bezüglich Natura 2000 seien über allerhöchste Intervention auszusetzen, womit europäisches Umweltrecht ignoriert werden soll?
Ist es ein bloßer Zufall, wenn LH Platter (dzt. Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz – eine private Runde ohne jegliche institutionelle Legitimation durch die österreichische Bundesverfassung!) sich stark macht für eine Entmachtung von Gerichten und damit eine Aufhebung der Gewaltenteilung in unserem Staate, weil gegen den Genehmigungsbescheid des Landes Tirol für Sellrain Silz Berufungen erfolgt sind und beim Bundesverwaltungsgericht darüber verhandelt wird?
In Tirol sieht man langjährige Gepflogenheit gefährdet.
Hierzulande (allerdings nicht ausschließlich hier) gibt es bislang nämlich ganz eigene Ansichten zum vielbemühten "Öffentlichem Interesse". Ein solches wird von vorneherein angenommen, wenn es sich um irgendwelche wirtschaftlichen Wünsche irgendwelcher maßgeblicher Leute handelt. Seien es Wünsche von Bürgermeistern zur Minderung von Schulden ihrer Gemeinde (vgl. Matrei i.O. – versus Natura 2000 bzw. Kraftwerksprojekt Tauernbach), die weitere Einnahmensteigerungen einer Seilbahngesellschaft (z.B. Silvretta-Seilbahn versus Piz val gronda) oder die Durchsetzung von Projekten einer Landesstromgesellschaft (z.B. TIWAG –Projekt Sellrain-Silz versus Entwässerung von weiteren Bächen) - all dies wurde in Tirol bislang von vorneherein als "Öffentliches Interesse" über allen anderen Interessen stehend betrachtet.
Übrigens: Geradezu peinlich, aber typisch für diese Bewußtseinlage ist auch, wie Platter in seinem Verwaltungsgerichtshof-Schreiben zwischen Öffentlichem Interesse und Umweltfragen unterscheidet - als wenn solche oft nicht ein viel bedeutenderes "Öffentlichem Interesse" darstellten als die augenblicklichen Wünsche von Dorf-, Regional- oder Landespolitikern?
Peinlich für den Briefeschreiber (und seine Einflüsterer) sind nun allerdings viele Reaktionen darauf - s. Einleitung, s. auch weitere Medienbeispiele:
So stellt Verfassungsrechtler Heinz Mayer im Ö1-Morgenjournal am 19.4. fest, „Europäisches Recht verlangt, dass in allen wichtigen Entscheidungen in letzter Instanz Gerichte zum Zug kommen und nicht eine abhängige Verwaltung“ – wobei Österreich nach vierzigjähriger Diskussion erst 2012 endlich so weit gekommen sei.
Der Standard behandelt die Frage, warum die Landeshauptleute die Verwaltungsgerichte angreifen.
Die Richtervereinigung äußert "Bestürzung über die Reformvorschläge, die weder mit der Verfassung noch mit den europäischen Standards vereinbar" seien.
Wozu füttern wir Bürger die politische Parteien mit unseren Steuergeldern, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, ihren Mandataren die in europäischen demokratischen Staaten geltende Gewaltenteilung beizubringen?
Eine weitere Bestätigung für die Präpotenz österreichischer Politiker ist die Tatsache, dass unser Staat (trotz bereits mehrfacher Verurteilungen durch den EuGH) seinen Bürgern noch immer Rechte aus der Aarhus-Konvention vorenthält; diese sieht u.a. auch den Zugang von Bürgern zu Gerichten in Umweltbelangen vor. Auch hier will man offensichtlich allein auslegungsberechtigt sein.
Wo käme man auch hin, wenn sich Bürger in ihre eigenen Angelegenheiten mischen dürften? Oder die Politiker selbst sich an die von ihnen beschlossenen Gesetze und getroffenen Vereinbarungen halten müssten?